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COVER DER TOTE IM FLEET
 

Der Tote im Fleet

Boris Meyn

Hamburg 1847: Eines Nachts wird zwischen Rödingsmarkt und Nikolaikirche ein unbekannter toter Mann aus dem Fleet gezogen. Die einzige Spur: zwei Ziegelsteine im Gehrock des Toten. Bei seinen Recherchen stößt der Commissarius Bishop auf höchst verdächtige Machenschaften in der Hamburger Politik nach dem großen Brand 1842.

Verlag: rororo
 

LOGO ANNA 3/5


In einem Satz: »Historischer Hamburgkrimi erfordert Lesedisziplin, belohnt jedoch mit fundiertem Wissen und interessanten Einblicken in Gesellschafts- und Machtstruktur der Stadt im Jahre 1847.«


Der Tote im Fleet ist der erste Band der zwischen 2000 und 2019 erschienenen historischen Krimireihe um insgesamt drei Generationen von Hamburger Ermittlern der Familie Bischop. Die insgesamt neun Bücher sind chronologisch geordnet und überspannen den Zeitraum von 1847 bis 1929. Der Autor Boris Meyn hatte weitere Folgen geplant, leider ist er im Jahre 2022 mit einundsechzig Jahren unerwartet verstorben.
Was zum Inhalt verraten werden sollte, findet man schon im Klappentext, deshalb werde ich mich auf die Sprache und das Leseerlebnis beschränken. Die Geschichte wird in einer eher hölzernen Sachbuchsprache erzählt. Figuren mit Hilfe geistreicher Beschreibungen und witziger Dialoge zum Leben zu erwecken, ist nicht die Stärke dieses Autors, und ganz besonders nicht in diesem Erstlingswerk. Ich kenne spätere Bücher von Boris Meyn und kann bestätigen, dass er im Verlauf seiner Karriere in Sachen schriftstellerischem Handwerk bedeutende Forschritte gemacht hat. Dennoch sollte man diese Reihe mit dem ersten Band beginnen, denn zumindest was die Familie Bischop betrifft, spielt die Lesereihenfolge doch eine wesentliche Rolle. Insgesamt steht die Sprache einem flüssigen Lesefluss mitunter im Weg, aber wer sich für die Geschichte interessiert, wird sich davon nicht von der Lektüre abhalten lassen, und das bringt mich zu meinem zweiten Kritikpunkt. Der Autor war Kunst- und Bauhistoriker, und besonders Architektur und Städtebau nehmen in diesem Roman viel Platz ein. Wieviel Fachwissen und Recherchearbeit in dem Buch stecken, lässt sich nur erahnen, es dürfte eine Menge sein. So einen Roman kann nur schreiben, wer wirklich etwas von der Sache versteht, und dieser Aspekt zieht sich leider weiter zu Lesern und Leserinnen, denn dieses Buch kann auch nur von jenen richtig gewürdigt und genossen werden, die ebenfalls etwas von der Sache verstehen. Das bedeutet nicht, dass normale Hamburger Krimileser nichts Interessantes darin finden, doch viele werden wahrscheinlich eher ein wenig enttäuscht sein. Es gibt jede Menge gut konstruierte, spannende Krimis, und allein als Kriminalroman kann Der Tote im Fleet nicht wirklich bestehen.
Es ist unmöglich, dieses Buch korrekt zu bewerten. Manche werden es nicht zu Ende bringen, andere werden es verschlingen, deshalb vergebe ich drei Punkte, was auch ungefähr meiner persönlichen Leseerfahrung entspricht.
Fazit: Für Menschen, die sich für Hamburg als Stadt, seine Gebäude und seine geschichtlichen Gesellschaftsstrukturen interessieren, ist dieses Buch eine wahre Fundgrube, und auch für lokale Freunde historischer Krimis würde ich es empfehlen. Für Leser und Leserinnen mit Heimathafen jenseits der Hansestadt könnte es passendere Krimis geben.



LOGO FINN 4/5


In einem Satz: »Historischer Krimi, der die Aufbaujahre nach dem großen Brand von 1842 mit viel bauhistorischem Wissen zum Leben erweckt.«



Hamburg im Jahre 1847, fünf Jahre nach dem großen Brand. Commissarius Hendrik Bischop wird zum Fundort einer Leiche gerufen, und so sind wir auch schon mitten drin in der Geschichte. Was hinter dem Mord steckt, soll nicht verraten werden, aber der Kriminalfall ist für mich gar nicht so wichtig. Viel interessanter ist der Wiederaufbau der Stadt und all die Verwicklungen, die damit im Zusammenhang stehen. Manchmal vergisst man, wie viele Geschichten sich in einer so großen und alten Stadt im Laufe der Jahrhunderte schon abgespielt haben, wie viele Leben vor uns in diesen Häusern begonnen, geblüht und geendet haben. Vieles aus der Zeit des Romans ist noch immer Teil der Stadt, die nach der Lektüre für den Leser und die Leserin eindeutig an Tiefe gewinnt. Diese Seite von Der Tote im Fleet finde ich richtig stark, aber auch der Krimi geht in Ordnung, er trägt seinen Teil dazu bei, dass eine Materie, die in einem Sachbuch zweifellos ausserordentlich trocken wäre, in diesem Roman zu leicht lesbarer Unterhaltung wird.
Der Autor war Historiker, und es ist offensichtlich, dass enorm viel Recherche in dem Buch steckt. Dass die Fakten stimmen, davon kann man wohl ausgehen, an einigen Stelle habe ich mich jedoch gefragt, wie akurat und umfangreich die Überlieferungen zu den im Buch vorkommenden historischen Persönlichkeiten sind. Für meine Beurteilung des Buches spielt das eigentlich keine Rolle, das Wissen über die Stadt steht für mich im Mittelpunkt, dennoch macht es mich immer ein wenig nervös, wenn echte Menschen und Geschehnisse sich mit fiktiven Ereignissen vermischen. Aber wie gesagt, der Qualität des Buches tun solcherlei Fragen keinen Abbruch.
Fazit: Ich finde die Mischung aus leichtem Krimi und viel Hamburggeschichte äußerst reizvoll, es gibt so viel zu entdecken. Der eiserne Wal, das zweite Buch in der Serie, steht definitiv auf meiner Leseliste.



LOGO ELIN 4/5


In einem Satz: »Faszinierender Einblick in die städtebauliche Geschichte Hamburgs, angereichert mit einem bisweilen etwas überflüssig wirkenden Mordfall.«


Ich finde dieses Buch sehr interessant, obwohl ich keine große Krimileserin bin. All die Hintergrundinformationen über die Entstehung der Stadt wie sie war und vielerorts bis heute geblieben ist, öffnen einem die Augen für die Straßen und Brücken, die Häuser und Kanäle, die man täglich achtlos passiert. Zum Beispiel das Haus der Patriotischen Gesellschaft an der Trostbrücke, das mir schon immer gefallen hat, ohne dass ich groß etwas darüber gewusst hätte. Wie ich nun weiß, wurde es 1847 fertiggestellt, dem Jahr, in dem dieser Roman handelt, und von Theodor Bülau entworfen, einem der Architekten, der in diesem Buch eine wesentliche Rolle spielt. Das Buch macht richtig Lust, mehr über die Stadt und für mich besonders auch über einzelne Gebäude zu erfahren. So weiß ich zum Beispiel nun, dass das erwähnte Haus bei den Bombardierungen des zweiten Weltkriegs schwer beschäftigt und später wieder aufgebaut wurde, mit wesentlichen Veränderungen. Selbstredend habe ich sogleich begonnen, aktuelle Bilder des Hauses mit dem bekannten Gemälde von Carl Rodeck aus dem Jahre 1897 zu vergleichen, um herauszufinden, was heute nicht mehr dem ursprünglichen Entwurf entspricht. Zu solchen Dingen inspiriert dieses Buch. Ich gehe nicht mehr auf dieselbe Weise über die Trostbrücke.
Was den Kriminalfall betrifft, kann ich nicht viel sagen. Er ist nichts Besonderes, und ich habe aus Mangel an Interesse vielleicht auch ein wenig darüber hinweggelesen. Für mich ist die Stärke dieses Buches das tiefe, bauhistorische Wissen, das auf unterhaltsame Weise verpackt ist.
Fazit: Wer sich für die Stadt interessiert, und damit sind diesmal in der Tat Gebäude, Straßen, Plätze, Brücken und Kanäle gemeint, der wird dieses Buch lieben. Wer nach einem Krimi sucht, wird wahrscheinlich enttäuscht werden, denn nach einem spannenden Fall mit cleverer Auflösung sucht man in diesem Roman vergebens.



LOGO MAJA 3/5


In einem Satz: »Trocken geschriebener Roman um politische und wirtschaftliche Ränkespiele im Hamburg nach dem großen Brand, eingebettet in einen einfach gestrickten Krimi.«


Wie so viele Krimis beginnt Der Tote im Fleet mit dem Fund einer Leiche, und wie so oft soll etwas Ungewöhnliches das Interesse der Leser und Leserinnen wecken. Hier handelt es sich um Steine in den Taschen eine Wasserleiche, die Steine sind jedoch nicht bloß viel zu leicht, um eine Leiche dieser Größe zu beschweren, sie weisen auch einige interessante, vielleicht gar verdächtige Besonderheiten auf. Soweit mochte ich den Beginn des Buches. Leider rückt der Kriminalfall bald in den Hintergrund, und man erfährt viel über Stadtplanung, Bauwesen und Architektur, und auch über die inneren Kämpfe der gehobenen Gesellschaft um Macht, Geld und Einfluss.
Hamburg spielt eine sehr große Rolle, und es gibt durchaus auch bauliche Dinge, die heute noch von Bedeutung sind, und manche würden wahrscheinlich sogar argumentieren, dass die Welt des Romans auch gesellschaftlich noch längst nicht der Vergangenheit angehört, aber ich verstehe von diesem Thema nicht annähernd genug, um das Buch unter diesem Gesichtspunkt zu beurteilen, deshalb will ich mich darauf beschränken, es als historischen Krimi zu bewerten.
Fazit: Ich fand dieses Buch langweilig, und das liegt nicht daran, dass ich keinen Gefallen an Krimis fände. Mir gibt es einfach zu viele Hintergrundinformationen, die für manche interessant sein mögen, aber für mich können sie einen fesselnden Fall mit sorgfältig konstruiertem Spannungsbogen nicht ersetzen.