
 
Sicherheitszone
Katrin Seddig
Hamburg, 2017, kurz vor dem umstrittenen G20-Gipfel. Scheinbar unberührt geht das Leben der Familie Koschmieder seinen Gang, man wohnt in Hamburg-Marienthal, geordnete Verhältnisse. Doch je näher der Gipfel rückt, desto weiter ziehen sich die Risse, die eben noch irgendwo an den Rändern klafften, in die Familie hinein. Die Tochter Imke, engagiert bei der «Jugend gegen G20», denkt immer radikaler, mitgezogen von Freunden. Ihr Bruder Alexander ist Polizist und überzeugt von einer klaren Linie; vielleicht will er auch nur sein geheimes inneres Chaos bändigen. Die Geschwister, die sich eigentlich nahe sind, stehen in der sommerheißen, explosiven Stadt plötzlich auf verschiedenen Seiten. Als die Mutter an einer politischen Kunstaktion teilnimmt, der Vater unfreiwillig in ein Gerangel gerät und Imke ganz unerwartete Erfahrungen mit Gewalt, Ohnmacht und Freundschaft macht, verwischen alle Fronten. Die Situation wird für jeden zur Prüfung.Verlag: Rowohlt
 
In einem Satz: »In sperriger Sprache erzählter Roman, der eine Aufarbeitung des G20-Gipfels in Hamburg verspricht, aber bloß mäßig interessante Einblicke in das Leben einer bürgerlichen Durchschnittsfamilie bietet.«
Ich war sehr gespannt auf dieses Buch, weil ich selbst vielschichtige und bleibende Erinnerungen aus den Tagen des Gipfels habe. Leider wurden meine Erwartungen enttäuscht, denn um den G20-Gipfel und die Ereignisse, die er in Hamburg ausgelöst hat, geht es in Sicherheitszone nicht. Es handelt sich um einen Familienroman, und in diesem Fall ist die Familie weder besonders interessant noch erscheint sie besonders echt. Alles wirkt konstruiert, ganz besonders der Sohn. Ich maße mir nicht an, mich in junge schwule Polizisten, die noch bei den Eltern wohnen, hineinversetzen zu können, aber dass die Autorin es auch nicht besser kann, dessen bin ich mir sicher. Sprachlich ist das Buch richtig anstrengend. Meist kurze, aber sperrige Sätze wirken wie der Versuch, einen Mangel an inhaltlicher Tiefe zu kaschieren. An banalen Stellen wird unversehens ein pathetischer Tonfall angeschlagen, als ob dem Text nachträglich in seiner Gesamtheit ein Anstrich aus dem Topf "Schwere" hätte verpasst werden sollen, und auch in Sachen sprachliche Stilmittel kämpft der Text auf tiefem Niveau. Wie könnte man die einsame Stimmung an einer verlassenen Bahnstation in einer kalten, schneerieselnden Winternacht mit wenigen Worten einfangen und zum Leben erwecken? In diesem Buch klingt das so: "Die Bahnstation ist so tot, als würde niemals mehr eine Bahn kommen." Man ahnt, schriftstellerisch wäre wahrscheinlich mehr möglich.
Hamburg kommt vor, aber weil das Buch nicht wirklich etwas mit dem G20-Gipfel zu tun hat, braucht man es allein aufgrunde dessen nicht zu lesen.
Fazit: Wer eine tiefgründige Analyse des G20-Gipfels in Hamburg und seiner Folgen erwartet, wird bitter enttäuscht werden. Wer einen Blick in das Leben einer bürgerlichen Familie werfen möchte und Erkenntnisse gerne selbst erarbeitet, wird vielleicht fündig.


In einem Satz: »Langatmiger Familienroman, der den G20-Gipfel als Aufhänger benutzt, die Stimmung in Hamburgs Straßen zu der Zeit jedoch nie einzufangen vermag und auch den Themen Globalisierung und Machtpolitik nicht gerecht wird.«
Was will uns dieses Buch sagen? Diese uralte Frage drängt sich nach der doch recht anstrengenden Lektüre des 2020 erschienenen Romans Sicherheitszone der Hamburger Literaturpreisträgerin Katrin Seddig wahrscheinlich nicht nur mir auf. Einige Themen kommen in diesem Werk zusammen, die beworbene Auseinandersetzung mit dem G20-Gipfel darf jedoch getrost vernachlässigt werden, denn zum Thema Globalisierung und Gebaren großer Wirtschaftsmächte hat dieses Buch nicht viel zu sagen, der Gipfel in Hamburg dient bloß dazu, auf Meinungsverschiedenheiten basierende Konflikte innerhalb einer Familie heraufzubeschwören. Nun ist es natürlich so, dass fast alle Menschen eine Menge persönliche Erfahrung mit diesem Thema haben, die meisten von uns freuen sich schon Monate vor großen Familienfesten auf das bevorstehende Aufeinandertreffen kontroverser Meinungen, und wer hat sich als Student nicht mit den Mitbewohnerinnen über Gott und die Welt gestritten? Und das bringt uns zu meinem Hauptkritikpunkt an diesem Werk und den Grund für meine anfängliche Frage. Wenn er schon nicht politisch ist, bietet der Roman dann zumindest interessante Beobachtungen und Überlegungen in Sachen Streitkultur? Verständnis für die vermeintlich Fehlgeleiteten? Respekt trotz Konflikten? Nein, der Roman bietet Einblicke in das Leben einer ganz normalen Familie, die noch deutlich langweiliger ist als meine eigene, und die ist definitiv nicht interessant genug, um in einem Roman verewigt zu werden.
Was will uns dieses Buch denn nun sagen? Ich muss gestehen, ich habe keine Ahnung, und da Sicherheitszone auch keinen Unterhaltungswert hat und außerdem in wenig inspirierter Sprache geschrieben ist, vergebe ich ausnahmsweise mal zwei Punkte.
Fazit: Nur für Menschen, die einfach jeden Hamburg-Roman gelesen haben müssen, anderen würde ich dieses Buch nicht empfehlen.


In einem Satz: »Entgegen den vom Klappentext geweckten Erwartungen wenig politischer Roman für Leute, die in ihrem eigenen Leben nicht genug ermüdende Familiengeschichten haben.«
Weshalb lesen wir Bücher, wenn unsere Freunde uns doch liebend gern jede Einzelheit ihrer ganz normalen Leben erzählen würden? Weil wir hoffen, von Romanfiguren, die sich in ungewöhnlichen Situation wiederfinden, Ungewöhnliches tun oder vielleicht ganz einfach selbst ungewöhnlich sind, unterhalten oder inspiriert zu werden, vielleicht gar etwas zu lernen. In Sicherheitszone begegnen wir Menschen, die nicht ungewöhnlich sind, nichts Ungewöhnliches tun, und ihre Gesichter in Pressefotos der G20-Krawalle hineinmontiert wiederfinden. Alles, was in diesem Buch überlegt wird, weiß jeder gesellschaftlich halbwegs aufmerksame und mitdenkende Erwachsene längst selbst. Ich habe ständig darauf gewartet, dass endlich etwas Unerwartetetes geschieht, leider vergebens. Da es sich um ein ziemlich umfangreiches Werk handelt, stellt sich nach einer Weile ein Gefühl von Frustration ein. Alle strampeln sich frei von bemerkenswerten Ausbrüchen und Erkenntnissen durch langweilige, in gewisser Weise vorbestimmte Leben, die keinen Sinn zu haben scheinen. Das hat mich deprimiert, denn auch wenn dieser Roman nichts davon weiß, sowohl in uns selbst wie auch da draußen gibt es Welten zu entdecken. Mal einen Vorhang zur Seite ziehen, eine Mauer niederreißen, Grenzen überschreiten, vielleicht ganz einfach mal in die andere Richtung blicken? Undenkbar? Für dieses Buch schon.
Fazit: Wer von Familienvideos schon nicht genug kriegen kann, wenn sie noch neu sind, könnte Gefallen an diesem viel zu langen, weitgehend erkenntnisfreien Roman finden.


In einem Satz: »Mühsam zu lesender Roman über eine klischeehafte Familie, der an meinem Gymnasium als sprachlich ungenügend bewertet worden wäre.«
Ich habe noch nie etwas von dieser Autorin gelesen, aber ich weiß, dass sie schon mehrere Romane geschrieben und offenbar auch schon zwei Mal den Förderpreis für Literatur der Freien und Hansestadt Hamburg gewonnen hat. Mit diesen Tatsachen konfrontriert stellt sich bei mir Verwirrung ein, denn dieser Roman ist meiner Meinung nach sprachlich ungenügend. Von meiner Deutschlehrerin am Gymnasium wäre ich für einen Text ähnlicher Qualität mit einer wahren Flut von Korrekturen konfrontiert worden. Da die Autorin jedoch erfahren und, wie die ganzen Preise zweifelsfrei belegen, auch sehr begabt ist, muss sie diesen Text mit Absicht auf eine Weise geschrieben haben, die das Lesen zu einer wahren Qual werden lässt, und eben deswegen bin ich verwirrt. Weshalb? Was soll das? Warum wäre dieser Roman nicht besser, wenn er in runder, geschliffener Sprache geschrieben worden wäre, ohne all das überflüssige, als tausend Stolperfallen dienende Füllmaterial? Halb so lang, doppelt so gut? Nach einer Weile habe ich mich auf die Theorie eingeschossen, dass diese extrem mühsame Sprache gewissermaßen den Gedankenfluss der Protagonisten wiederspiegelt. Wer so denkt, hat es schwer, nicht nur beim Erlangen großer Erkenntnisse, ganz allgemein im Leben. Mich hat dieser Stil an den Rand der Verzweiflung gebracht und mir den Roman von den ersten Seiten an so richtig versalzen, weshalb ich den eigentlichen Inhalt gar nicht objektiv bewerten kann. Ich vergebe deshalb neutrale drei Punkte.
Fazit: Ich würde diesen Roman allein der Sprache wegen nicht weiterempfehlen, aber ich möchte bei Gelegenheit noch ein anderes Buch dieser Autorin lesen, um zu erfahren, ob die unrunde Sprache tatsächlich ein bewusst eingesetztes Stilmittel dieses einen Romans ist.