
 
Über den Winter
Rolf Lappert
Lennard Salm ist fünfzig und als Künstler weltweit durchaus erfolgreich. Als seine älteste Schwester stirbt, kehrt er zurück nach Hamburg und in die Familie, der er immer entkommen wollte. So schnell wie möglich will er wieder zurück in sein eigenes Leben. Aber was ist das, das eigene Leben? Salms jüngere Schwester Bille verliert ihren Job, sein Vater nähert sich immer schneller der Hilflosigkeit. Einen funkelnden Winter lang entdeckt Salm, dass niemand jemals alleine ist. Er lernt seine Eltern und Geschwister neu kennen. Rolf Lappert erzählt vom Wunder der kleinen Dinge und von dem, was heute Familie bedeutet. Jedes Detail leuchtet in diesem zarten, großen Familienroman.Verlag: Hanser
 
In einem Satz: »Handwerklich gut gemachtes Portrait eines einsamen Mannes in der existenziellen Krise, die wohl so manchen Menschen nach dem Überschreiten der Lebensmitte heimsucht.«
Lennard Salm, ein Objektkünstler um die fünfzig, kehrt für das Begräbnis seiner älteren Schwester Helene nach Hamburg zurück, wo komplizierte Familienbeziehungen auf ihn warten, aber auch existenzielle Fragen zum bisherigen und zukünftigen Verlauf seines Lebens.
Dieser Roman ist gut geschrieben und schafft es mühelos, den Protagonisten und andere Figuren zum Leben zu erwecken. Dennoch hat mich das Buch nie wirklich berührt, die Geschichte blieb für mich immer auf einer rein intellektuellen Ebene. Ich bin sehr gespannt, was Finn zu dem Buch sagen wird, denn ich vermute, dass das Geschlecht des Lesers beziehungsweise der Leserin bei Über den Winter eine wesentliche Rolle spielt.
Fast als Randbemerkung hat das Schicksal von Bootsflüchtlingen seinen Weg in diesen Roman gefunden, doch der Text bietet weder Platz für das große Thema noch hat letzteres einen echten Bezug zu der eigentlichen Geschichte. Ich verstehe, dass der Fund eines ertrunkenen Kindes ein Schlüsselerlebnis für den Protagonisten darstellen soll, dennoch finde ich, dass dieses Buch in sich stimmiger wäre, wenn dieses Thema nicht auch noch angesprochen worden wäre. Die Lebenskrise von Salm bietet mehr als genug Stoff für einen interessanten Roman.
Für die hohe literarische Qualität des Textes und die feinsinnige, aufmerksame Erzählung vergebe ich vier Punkte.
Fazit: Kein Buch für jedes Bücherregal, aber der Text kann hohen literarischen Ansprüchen genügen, und wer sich für das Thema interessiert, wird einiges in der trotz einem Mangel an Höhepunkten interessanten Erzählung finden.


In einem Satz: »Solider Roman über die Lebenskrise eines Mannes an der Schwelle zur zweiten Lebenshälfte, in gewohnt hoher sprachlicher Qualität, aber frei von unerwarteten Wendungen und überraschenden Einsichten.«
In Rolf Lapperts neuem Roman kehrt der weltreisende Künstler Lennard Salm nach Hamburg zurück, um an der Bestattung seiner zeitlebens kranken Schwester Helene teilzunehmen, obwohl er sich nicht ganz sicher ist, dort auch willkommen zu sein. Dieser Todesfall, der zufällige Fund eines ertrunkenen Säuglings und wohl auch die Rückkehr in die alte Heimat stoßen den Protagonisten in eine Lebenskrise, der er im Großen und Ganzen mit Kapitulation begegnet. Wenn ohnehin nichts von Belang ist, weshalb sollte man sich überhaupt bemühen, so könnte man es zusammenfassen. Der Tatsache, dass ein Mann wie Salm auch viel Interessantes und Schönes erlebt haben muss, wird in der Geschichte zu wenig Beachtung geschenkt, finde ich. Das Leben ist endlich und endet selten mit einem Lachen, deswegen muss es jedoch noch lange nicht freud- oder gar sinnlos sein. Doch derlei Gedanken haben keinen Platz in Über den Winter. In trüber Niedergeschlagenheit schleppt Salm sich durch eine Stadt, die nie richtig sein Zuhause war und es wohl auch nie sein wird. In eine Erzählung dieser Art kann sich leicht Selbstmitleid einschleichen, doch dieser Versuchung zu widerstehen, ist dem Autor großmehrheitlich gelungen. Herausgekommen ist ein Buch über einen Mann, der glaubt, alles Wichtige in seinem Leben hinter sich zu haben, und dessen Suche nach dem verlorenen Sinn mit der Erkenntnis endet, dass es einen solchen vielleicht gar nie gegeben hat.
Das Buch ist gut geschrieben, das Thema ist bedeutsam, aber es mangelt ganz einfach an interessanten Gedanken. Über den Winter ist nicht das Ergebnis einer großartigen Idee, es ist das Produkt eines erfahrenen Autors, der ganz einfach schreiben kann. Ich bin sicher, Rolf Lappert könnte jederzeit weitere Romane wie diesen schreiben, wenn er möchte, ohne dafür auf Inspiration und einen genialen Einfall warten zu müssen. Das kann längst nicht jeder, aber für große Literatur braucht es mehr, eine außergewöhnliche Geschichte, bemerkenswerte Ideen, sprachliche Höhepunkte, große Gefühle, tiefgründige Einsichten. Ich vergebe dennoch vier Punkte, weil drei Punkte für mich für neutralen Durchschnitt stehen, und davon kann man hier nicht sprechen, dafür ist das Buch einfach zu gut geschrieben.
Fazit: Wer sich vom Klappentext angesprochen fühlt, sollte reinlesen, aber gelesen haben muss man dieses Buch nicht.


In einem Satz: »Einblick in das Leben eines Mannes, der von traumatischen Erlebnissen in jene Krise geführt wird, der sich angeblich fast alle Menschen in der Lebensmitte stellen müssen.«
Eigentlich halte ich nicht viel von der Idee, zwischen Büchern für Frauen und solchen für Männer zu unterscheiden, doch bei diesem Roman könnte etwas dran sein. Ich kann mich in den Protagonisten hineinversetzen, auch dank der hohen Qualität des Textes, doch ich spüre, dass mir etwas entgeht, dass in diesem Buch mehr steckt, als ich erfassen kann. Vielleicht liegt das an meinem Geschlecht, vielleicht auch einfach bloß daran, dass ich noch recht weit von der Mitte eines Menschenlebens normaler Länge entfernt bin. Das Buch löst in mir eine Art Melancholie aus, und ich empfinde Mitgefühl für Salm, wie der Protagonist meist genannt wird. Um zu wissen, dass Männer mittleren Alters auch leiden und zweifeln und verzweifeln, bräuchte ich dieses Buch jedoch nicht zu lesen, das war mir auch zuvor schon klar. Insofern lässt mich Über den Winter nicht klüger zurück, als ich es vor der Lektüre schon war, und weil es mir auch kein eigentliches Vergnügen war, dieses Buch zu lesen, glaube ich, dass es sich in diesem Fall tatsächlich um ein Buch handeln könnte, das nicht für mich bestimmt ist. Männer in Salms Alter und im weitesten Sinne seiner Lebenssituation, so vermute ich, finden am meisten in diesem Buch, das ich dennoch für genauso wichtig halte, wie die Bücher, die mein eigenes Leben mehr betreffen.
Fazit: Manche Leserinnen könnten sich langweilen, für Leser, die selbst an diesem Punkt in ihrem Leben stehen, könnte es eine wahre Offenbarung sein.


In einem Satz: »Die Geschichte eines Wendepunktes im Leben eines Mannes in der Lebensmitte, auf sprachlich hohem Niveau erzählt, stellenweise etwas träge durch viele Abschweifungen.«
Nach Nadia ist dies der zweite Roman, den wir lesen, in dem ein erfolgreicher Künstler mit viel familiärem Ballast nach Hamburg zurückkehrt. Das ist aber auch schon alles, das diese beiden Romane verbindet, den hier schreibt jemand auf ganz altmodische Weise, ohne zahllose Popkulturverweise und angelsächsische Zitate. Über den Winter ist ganz einfach handwerklich gut gemachte Literatur. Das ist schon mal was, in diesem Werk stecken Sorgfalt und Arbeit, allein dafür würde ich drei Punkte vergeben.
Nun zum Inhalt: Lennard Salm, ein Mann mittleren Alters, der bislang als recht erfolgreicher Objektkünstler rund um die Welt seinen Lebensunterhalt verdient hat, kehrt für das Begräbnis seiner älteren Schwester nach Hamburg zurück, wo er beginnt, sein bisheriges Leben, aber auch den Zustand der Welt insgesamt zu hinterfragen. Diese Ausgangslage bietet Stoff für interessante Betrachtungen und Einsichten aller Art, doch genau in dieser Hinsicht schwächelt dieses Buch meiner Meinung nach. Was ich bislang gemacht habe, hat weder die Welt verändert, noch war es sonst irgendwie von Bedeutung, und was mir noch bevorsteht, ist im Wesentlichen der langsame Sinkflug hin zu meinem eigenen Tod. So könnte man zusammenfassen, was Salm in seinem bisherigen Leben gelernt hat. Ich finde, das ist nicht genug für ein Buch von fast vierhundert Seiten.
Etwas befremdet hat mich, wie Salm zu einem Pferd kommt, um das er sich kümmern muss. Klar, es ist wichtig, dass Salm etwas Uneigennütziges für jemanden tun kann, aber weshalb gerade für ein Pferd? Sonst ist der Roman ausgesprochen realistisch, deshalb kam mir der beinahe etwas surreale Auftritt des Huftieres etwas seltsam vor. Hätte es nicht auch ein normales Tier sein können? Ich habe in meiner Kindheit zwei Vögel und eine Maus aufgepäppelt und weiß deshalb, sowas kommt vor. Aber ein Pferd? Habe ich in meiner kindlichen Unsorgfältigkeit die nachbarlichen Hecken einfach nicht gründlich genug geprüft? Vielleicht stehe ich auf dem Schlauch und das edle Tier steht für etwas ganz Wichtiges. Falls dem so ist, lasst es mich bitte wissen!
Meine eigene und die Lebenssituation des Protagonisten könnten kaum unterschiedlicher sein, dennoch erkenne ich den Wert und die Wichtigkeit dieser Erzählung. Deshalb gibt es von mir vier Punkte.
Fazit: Sprachlich von hoher Qualität, aber eher für Leute im Alter des Protagonisten.